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Gedanken eines ehemaligen Knappen - oder: aus dem Leben des Sir Veyt van Roth[]

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Kategorie:Orden des ErbauersKategorie:Geschichten

Teil 20[]

Gedankenknappen20

Gerade in der Zeit der Buße ergab es sich öfters, dass Veyt sich mit sehr viel Zeit für sich und seine Gedanken konfrontiert sah. Was durchaus Sinn der Sache war, das war ihm schon klar, aber nicht nur Gedanken über seine Taten huschten durch seinen blonden Schädel, sondern auch Gedanken einer etwas anderen Art. So kam es von nicht ungefähr, während er gerade wieder einmal die welken Blätter von den Büschen vor der Kathedrale pflückte, dass er sich fragte, was eigentlich der größte Feind eines Ritters war. Im Laufe seiner Bußzeit war er dabei von Tag zu Tag zu anderen Ergebnissen gekommen und das erste, was er als korrekte Antwort auf diese Frage erachtet hatte, war:

Der größte Feind eines Ritters ist... ein anderer Ritter.

Das machte Sinn. Auf den ersten Blick zumindest. Auf den zweiten... eigentlich so gar nicht. Denn die einzigen Momente da ein anderer Ritter als „Feind“ zu bezeichnen wäre waren die gelegentlichen Turniere und Buhurts, die, zum Wohle der Ritter, ihrer Rüstungen und der Umstehenden mit gepolsterten Waffen geführt wurden. Ganz davon abgesehen dass dennoch genug passierte damit die Heiler nicht an Langeweile starben.

In Anbetracht der Tatsache, dass Veyt neulich beim wöchentlichen Training des Wachregiments einen Schützenfertigkeit an den Tag gelegt hatte, die ihn durchaus als persona non grada für das königliche Schusswaffenarsenal qualifiziert hätte, konnte man ergänzend auch sagen, dass die falsche Waffe in der Hand eines Ritters ebenso sein größter Feind war. Oder Litonja zum Beispiel. Also Litonja nicht als Waffe sondern als Beispiel für die Waffe als Feind in entsprechenden Händen. Also ihre Waffe. Seit sie nämlich Knappe war musste sie lernen, dass eine zweihandgeführte Axt zwar für einen Kathul DIE Waffe schlechthin war, aber leider Schwert und Schild anders geführt wurden und nun einmal die Standardbewaffnung für Knappen wie Ritter war. Spezialisierung kam später. Inzwischen war sie immerhin soweit dass sie den Sinn des Schilds akzeptiert hatte und ihn nicht nur zur Zierde trug. Pferde konnten außerdem genauso betrachtet werden. Waren sie bockig war der Ritter aufgeschmissen. Aber beides, Waffe wie Reittier, ließ sich zusammenfassen unter „Ausrüstung“. Irgendwo.

Rein kämpferisch gesehen wären in der Tat Ritter ansich die größten Feinde eines Ritters, da es schon etwas anders war gegen einen ausgebildeten plattentragenden Recken zu kämpfen als gegen fellbehangene Orks. Nicht dass man Orks nicht als würdige Gegner empfand, nein, aber man konnte schon sagen die Seiten wären ausgeglichener. Aber bisher, sprich seit Veyts Ritterschlag, waren die Ritter immer alle auf der gleichen Seite gewesen und es gab nicht wirklich einen Grund, warum sich das ändern sollte. Naja. Bis auf die Schleifer. Aber die war ja auch kein Ritter. Also nochmal.

Der größte Feind eines Ritters ist... sein Vater. Also seine Mutter. Also die Eltern.

So oft man nämlich auch hörte dass Ritter ein wenig einen Unantastbarkeitsstatus hatten (Schon mal einem Ritter mit einem „na du?“ auf die Schulter geklopft? Ganz recht. Schlechte Idee.) , so war es doch parallel dazu absolut schnurzegal wie alt ein Ritter war, wie dick die Rüstung, wie kampferprobt, wie siegreich, wie heldenhaft oder wie oft sein Konterfei auf kleinen Sammelbildchen für ritteranhimmelnde Mädchen gedruckt war: Eltern blieben Eltern und damit immer superier. Das hatte nichts damit zu tun, dass Eltern keinen Respekt vor den hart verdienten Sporen des Nachwuchses hätten, oh nein, aber es war einfach eine Tatsache dass im elterlichen Hause immer die oberste Regel galt: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch steckst....“. Meist wurde die Regel in Kombination mit absolut perfekt neutraler Miene angewandt, die selbst bei den positivsten Nachrichten über die Entwicklung des Nachwuchses nicht einmal mit einem Wimpernhaar zuckte. Es grenzte teilweise schon fast an Desinteresse was sich in den Gesichtern der Altvorderen spiegelte.

Dafür war die Reaktion aber umso heftiger, wenn die Nachrichten keine ganz so gute bis schlechte Nachrichten waren. Da rangierte das Maß von „einfacher, enttäuschter Blick“ bis zu „gleich platzt die Ader an der Schläfe“, begleitet von variabel betonten Aussagen, wie groß genau die Enttäuschung war. Ritter oder nicht, das schlechte Gewissen, das dabei hervorgerufen wurde, nagte und das zu erreichen musste man erst mal können. Vermutlich war es Bestandteil der Erziehung um den Spross auf dem Boden der Tatsachen zu halten wenn er gerade zu Höhenflügen wegen persönlichen Erfolgen ansetzte. Und der eine oder andere Dämpfer hatte wohl noch keinem geschadet. Außer natürlich dem eigenen Stolz.

Insofern gesehen war also auch diese Aussage falsch. Viel eher musste es vermutlich lauten:

Der größte Feind eines Ritter ist... sein Stolz.

Das klang doch mal gut! Und in der Tat war nichts so gefährlich wie Überheblichkeit und die Neigung zu Selbstüberschätzung beziehungsweise die Unterschätzung von Sachverhalten. Falscher Stolz machte einen nicht nur blind für teilweise wirklich offensichtliche Gefahren, er machte einen auch gesellschaftlich durchaus verletzlich. Arroganz war kein guter Wesenszug für einen Ritter und nicht umsonst hieß es, dass Hochmut vor dem Falle kommt. Nicht umsonst hatte sein Vater ihm immer wieder gesagt, Ritter zu sein, bedeutet, sich zu allererst selbst aufzugeben für die anderen.

Leider sagte es sich soviel leichter. Denn so sehr man auch versuchen konnte, sich daran zu halten, stets nach den Tugenden zu leben und zu streben um so mehr sah man sich damit konfrontiert, über kurz oder lang die eine oder andere Tugend zu bevorzugen. Und neigte man dann nicht doch eher dazu, sich selbst treu zu bleiben? Aber war das dann nicht genau das Gegenteil davon, sich selbst aufzuopfern? „Das wichtigste ist, dass du dich nicht zwischen den Tugenden aufreiben lässt“, hatte sein Vater gesagt. Es war zum Verrücktwerden. Veyt hatte es sich fest vorgenommen, es niemals dazu kommen zu lassen, doch war er auch nicht auf den Kopf gefallen. Also nicht so dass es bleibende Schäden hinterlassen hätte. Als er sich hatte entscheiden müssen, entschied er. Und das nicht nach seinem eigenen Willen. Die dazugehörige Lektion war bitter gewesen, aber Medizin schmeckte nun einmal selten nach Honig und letztendlich hatte sie ihn aus der Rüstung in eine Büßerrobe befördert und sorgte derzeit dafür, dass er einige grundlegende Dinger klarer sah und verstand. Letztendlich hatte er den Schluss gefasst, dass Stolz eben doch nicht der größte Feind war. Dafür war er aber auf eine ganz andere Lösung gestoßen.

Der größte Feind eines Ritters ist... die Zeit in der er lebt.

Jetzt kam er der Antwort schon näher. Ein Ritter war Sklave seiner Zeit, wie jeder andere auch. Sprich in kämpferischen Zeiten den Kopf hinhalten und in friedlichen Zeiten Däumchen drehen. Das eine machte hart und unnahbar und brachte vor allem Schmerz und Verlust, das andere machte weich und nachlässig und brachte Langeweile und Wehmut. Auf den ersten Blick wirkte das wie zwei überzogene Extreme, aber wenn man es genauer betrachtete, stellte man fest, dass durchaus etwas dran war. Sir Desther zum Beispiel. Der Mann lebte für den Kampf, für den Krieg. Würde es einmal zu lange Frieden geben würde er eingehen wie ein Gänseblümchen in Tanaris. Oder sein alter Herr, Sir Arken, der kämpfte weil er musste und man es von ihm verlangte, weil er Eide geschworen hatte und einen Orden führte aber eigentlich, ganz eigentlich, mehr für die Familie da sein wollte. Veyt musste unwillkürlich grinsen, denn er wusste genau dass, sollte Sir Arken je seine Ruhe bekommen, es keine drei Monate dauern würde, bis er vor Langeweile ähnlich wie Sir Desther ein Gänseblümchen in Tanaris werden würde. Diese Männer lebten für den Kampf. Genauso Sir Alleander, dessen taktisches Geschick maßgeblich dazu beisteuerte, Schlachten zu gewinnen. Sir Cathalan, der es geschafft hatte, sich mit wenigen Mann tagelang im tiefsten Tirisfal gegen die Verlassenen und die Streitkräfte der Horde zu behaupten. Jeder von ihnen, jeder einzelne, war ein Ritter der kämpferischen Zeiten. Es war das, was sie gelernt hatten, was ihr Lebensinhalt war. Schlachten schlagen und gewinnen. Schwerter. Schilde. Armbrüste. Infanterie. Kavallerie. So wie es schon lange war. Auf der anderen Seite gab es aber auch Ritter wie Sir Darwin, der nur kämpfte wenn es gar nicht anders ging und eher eine friedliche Lösung suchte als mit dem Säbel zu rasseln.

Aber würde es noch lange so sein? Mit Unbehagen erinnerte sich Veyt, wie er das erste Mal auf Gilneer getroffen war. In ihrer seltsamen Kleidung, ihren gewöhnungsbedürftigen Hüten. Und das erste Mal in seinem Leben hatte er sich.... anders gefühlt. Irgendwie... alt. War das überhaupt das richtige Wort? Er war ja nicht alt, aber, nun ja, wohl aus einer anderen Zeit. Und langsam, aber sehr sicher, dämmerte über Sturmwind ein neues Zeitalter heran. Eine Zeit der Maschinen und der Mechanik. Mit Fluggeräten und Panzern, statt Pferden und Armbrüsten. Nicht unbedingt eine erfreuliche Aussicht, aber so war es nun einmal. Man blieb nicht stehen sondern ging weiter. Ein ständiges Fortschreiten und Weiterentwickeln.

Fortschreiten. Entwickeln. Entwickeln wie in Erwachsen werden. Kleine Mädchen zum Beispiel, die langsam zur Frau wurden. Wie ein Blitz durchfuhr es ihn, als er erkannte, was wirklich der größte Feind für einen Ritter war.

Der größte Feind für einen Ritter ist... die kleine Cousine, die auf dem Weg war, eine Frau zu werden und dringend eine Erklärung über Bienen, Blumen und Kleider mit mehr Platz oben herum brauchte.

Aber das zu erklären war zu seinem Glück ein Fall für die Eltern.

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