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Ein denkwürdiger Abend war das. Eigentlich wollte ich lediglich beichten. Ja, selbst das Leben eines tugendhaften Zaubertricksers wie mir erfährt das ein oder andere Tief: In diesem Falle hatte ich den Nachmittag bei Lord Banehollow in den Tiefen der Schattenfeste zugebracht, bei Tee und formschönem Mandelspekulatius, den der bucklige Assistent des gehörnten Fürsten (der mich unweigerlich kurz an Hârkenbrandt erinnerte, den ich an dieser Stelle aber nicht hätte eintauschen wollen) in aufgesägten Schädeln auftischte, lauschte ich den Ausführungen des Meisters. Hätte Banheollow gewusst, das ich zwei Stunden zuvor die Hälfte seiner rattengesichtigen Brut an den Rand des Nether geblasen hatte - er hätte mich mit beiden Klauen sofort in winzige Schnipsel zerrissen. Aber so saß ich in den gemütlichen Sesseln und der Schattenhafte Trank entfaltete seine Wirkung zu genüge, und der Gehörnte Fürst der Schattenfeste ließ mich an seinen hasserfüllten Plänen von Tod, Zerstörung und Verderbnis teilhaben. In einem Wort: Es war sterbenslangweilig!

Dennoch war mir unwohl und ein bisschen hatte ich ein schlechtes Gewissen, das ich Banehollow so hintergangen hatte, und ich besann mich der Tugenden des Lichts - ein einfacher psychologischer Trick, den ich einst von einem gefallenen Paladin gelernt hatte. Zurück in Stormwind suchte ich, es war bereits spät, die Kathedrale auf um einen Pfaffen zu finden, dem ich mein Herz ausschütten könnte. Trotz später Stunde war auf den Straßen ein großes Gelage, dass das Königliche Hofdezernat zu Ehren unseres Königs neuntem Geburtstag zelebrierte... hätte es einen anderen Grund für all die hüpfenden und herumtollenden Nachtelfen gegeben, deren spontane Tanzeinlagen die Anmutung einer querschnittsgelähmten Naga hatten? Mitnichten.

Am Kathedralenplatz angekommen traf ich - welch Glück! - auf den löblichen Richter Leodonatus, den ich mir gleich einmal für ein kleines Gespräch zu reservieren ersuchte. Doch ich wurde vertröstet und von einer netten Angestellten der Heiligen Inquisiton in die Kathedrale geführt, wo sie mich zu warten bat. Während zwei Nachtelfen in der Halle über etwas diskutierten, dessen Sinn mir sich nicht erschliessen wollte, drangen aus den Kellern der Hauses immer wieder Stimmen und unterdrückte Schreie empor: Ja, nach Sonnenuntergang erwachte dieses heilige Haus zum Leben und war durchdrungen vom Fleiß der emsigen Helfer der Wahrheit!

Schließlich traf auch der Herr Richter Leodonatus ein und ich hatte mit meinem Anliegen gerade begonnen, da gellten Schreie durch die Haupthalle. Wir eilten um nachzusehen, was Grund und Ursache der Störung der Hochheiligkeit dieses Hauses war und trafen auf einen Nachtelfen, der irgendeinen Kauderwelsch vor sich hinstammelte. Aus den Kellern kamen zwei Mitglieder der Scharlachroten Flamme keuchend hinterhergewetzt und mussten ersteinmal verschnaufen, während der Richter der ebenfalls hinzugekommenen, sympathischen Angestellten die Weisung erteilte, den Elfen - warum auch immer - festzunehmen. Dieser jedoch verabschiedete sich ehe man sich versah mit einem Salto über unsere Köpfe hinweg und den nachtelfischen Worten: ,Adios Amigos?. Was auch immer ihre Bedeutung waren, die beiden Flammen nahmen die Beine in die Hand und die Verfolgung auf, ebenso Leodonatus, während ich der gutaussehenden, netten Angestellten mitteilte, dass der Nachtelf wohl so oder so entkommen würde. Da es keinen Grund mehr zu Eile gab, spazierten wir hinaus.

Voller Vorfreude auf einen entspannenden Massageabend mit der in solchen Dingen sicher bewandten Assistentin der Heiligen Inquisition wollte ich ihr eben jenen fabelhaften Vorschlag gerade unterbreiten, als Leodonatus Stimme aus dem Rathaus und über den Kathedralenplatz schallte. Die pflichtbeflissene Assistentin bewegte sich natürlich sofort in seine Richtung und liess mich seufzend und die Hoffnung auf entspannende Stunden schwindend, dort zurück, wo ich eben stand. Meiner Neugierde war es zu verdanken, das ich in dieser Nacht noch tiefer in den Strudel seltsamer Ereignisse verwickelt werden sollte. So begab ich mich ebenfalls in das Rathaus, in dem die beiden Scharlachroten Flammen standen, die zuvor noch dem Nachtelfen auf der Spur gewesen waren. Nichts anderes als diesen - gestellt und dingfest gemacht - erwartete ich im Haus, und so überraschte es doch sehr, das ich im oberen Stockwerk einen auf der Brüstung des Treppenhauses balancierenden Krieger in schwerer Rüstung antraf, der sich gegen die versammelten Mitglieder der Heiligen Inquisition und wohl seiner Verhaftung, durch eben jene akrobatische Meisterleistung zu entziehen versuchte (die mich sicherlich mit gebrochenen Knochen im Treppenhaus zurückgelassen hätte, wäre ich wahnwitzig genug, soetwas jemals zu versuchen). Zuerst mit Worten lockend, mahnend, drohend, versuchte der löbliche Herr Richter und seine hübsche Assistentin dem Krieger, der sein Antlitz durch einen Topfhelm verbarg, beizukommen, während ich vergebens die Scharlachroten Flammen, von der sich eine als Kommandant Sutech zu erkennen gab, um Informationen zu dem seltsamen und überzeugungsresistenten Krieger befragte.

Wie dem auch sei, im Bestreben, dem namenlosen Krieger habhaft zu werden, gab es ein langes hin und her. Mal versuchte man ihn zu überreden, seinen Helm abzunehmen, ein ander Mal ergriff man ihn auf Befehl des löblichen Herrn Richter, um ihm unter Zuhilfenahme einer Zange, die ich der ansehnlichen Assistentin gereicht hatte, den Helm mit Gewalt vom Kopf zu ziehen. Doch stets konnte der Krieger sich entziehen, mal durch weitere akrobatische Leistungen, die in manchen Fällen mehr Gelenke erfordert hätten, als der menschlichen Anatomie zugedacht waren, mal kam es mir vor, als griffen ein halbes Dutzend Leute in nichts als die leere Luft, wenn sie versuchten, des sich windenden Kriegers endlich habfhaft zu werden. Nichts schien zu nutzen, schließlich stand der Krieger, den man mit Mühe und Not bereits ein paar Meter die Treppen hinunter gezerrt hatte, wieder oben auf der Brüstung, höhnte und spottete und erregte den Zorn der Scharlachroten Flammen, allen voran Kommandant Sutech, aber auch die Geduld der hübschen Assistentin war erschöpft und so versuchte sie dem Krieger mit einem Speer beizukommen.

Schließlich, als die Hoffnung darauf, dem mit supernatürlichen Kräften ausgestatteten Krieger beizukommen für mich völlig verschwunden war, dachte ich mir, dass die Schuld, die ich mir durch das skrupellose Hintergehen des Lord Banehollow aufgeladen hatte, sicherlich dadurch gesühnt worden war, mehr als eine halbe Stunde von einem namenlosen Krieger zum Narren gehalten worden zu sein. Auch wenn ich mein eigentliches Anliegen nicht hatte an den Mann bringen können, so fühlte sich mein moralisches Gleichgewicht wieder einigermassen im Lot angekommen. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht verliess ich das Rathaus und liess die verzweifelte Schaar von Scharlachroten Flammen und Inquisitoren mit ihrem hüpfenden, semimateriellen Meisterakrobaten zurück und begab mich zur Ruhe - es war ein wahrlich anstrengender Tag gewesen.

Bereits in wärmenden Schafswollpantoffeln durch die Zimmer meiner geräumigen Pension schlurfend, die Schlafmütze auf und genüsslich eine Gute-Nacht-Pfeife rauchend, konnte mich dass durch das offene Fenster vom Markplatz herübergetragene, gesellige Treiben des Hofdezernats nicht erheitern. Es waren zu viele Fragen, die mich noch grübeln liessen: Wer war dieser Mann gewesen? Woher kamen seine Fähigkeiten? Wäre auch ich in der Lage, solche Künste zu erlernen? Würde ich ihn für den Zirkus rekrutieren können? Stand ich wirklich auf der richtigen Seite? Oder wurde es Zeit, der Heiligen Inquisition die Unterstützung zu entsagen? War die Manifestation von Netherstuff konvergent zu den epileptischen Anfällen, die vereinzelt beim Beobachten elfischer Tänze vorkamen? Oder waren die fantastischen Geschehnisse, derer ich heute Abend Zeuge wurde, nichts als astreiner, banaler Pfusch?



Von Anthrazides

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